Sonntagsruhe – aus guten Gründen geschützt

Der Sonntagsruhe ist grundgesetzlich geschützt. Sie soll allen Beschäftigten die Möglichkeit zur Religionsübung, zur Teilnahme Gottesdiensten geben, andererseits aber auch freie, unverplante Zeit für die Familien, für ehrenamtliches Engagement, für Kultur und Muße gewährleisten.

Doch was ist Zerstreuung und Muße? Vielleicht auch ein Einkaufsbummel durch die Stadt? Die Diskussion um die Ausweitung von Einkaufsgelegenheiten an Sonn- und Feiertagen hat sich zu einem Dauerstreit entwickelt. Bei diesem Streit stehen sich der Gesetzgeber einerseits, Ladeninhabern und Bundesländern, die im Blick auf die Landeschlusszeiten eine gewisse Gestaltungsfreiheit haben, andererseits gegenüber.

Der Sonntag ist eine notwendige Unterbrechung
Zusammen mit den anderen Trägern der Allianz für den freien Sonntag  steht unsere Kirche ein für eine bewusste und vielseitige Sonntagskultur, die von einem breiten Konsens in unserer Gesellschaft getragen und von unserer Verfassung aus guten Gründen geschützt wird, denn der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere. In der jüdisch-christlichen Tradition ist der Sabbat bzw. der Sonntag ein Tag, der der gottesdienstlichen Feier, der Ruhe und der Zuwendung zum Nächsten gewidmet ist.

Auch heute noch ist ein verlässlicher Wochenrhythmus mit einem Unterbrechungstag für die individuelle Lebensgestaltung ebenso wichtig wie für das Miteinander in Familie, Verein und Freundeskreis. Auch der eingespielte Wechsel von Arbeit und Entspannung, vom „Muss“ und vom „Kann“ ist nicht zu unterschätzen. Wer ein Berufsleben lang fit bleiben will, kann die Erholung nicht komplett auf den Urlaub verschieben. Auch arbeitsmedizinisch und sozialpsychologisch spricht alles dafür, mit dem Kulturgut Sonntag pfleglich umzugehen.

Sonn- und Feiertagsschutz sind im Grundgesetz verankert
Die 61 Väter und 4 Mütter des Grundgesetzes haben zum Schutz der Sonn- und Feiertage den Artikel 139 der Weimarer Verfassung von 1919 übernommen und 1948 als Artikel 140 in die Verfassung der Bundesrepublik eingebaut.
Er lautet: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

Die Bundesländer haben zum Teil ähnlich lautende Formulierungen zusätzlich in ihre Verfassungen aufgenommen. Die Sonn- und Feiertage sind dadurch vielfach doppelt geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit. Der ausdrückliche hochrangige Rechtsschutz unterstreicht die Bedeutung der Sonn- und Feiertagsregelungen für unsere Gesellschaft. Denn Sonn- und Feiertage bilden ein zentrales Moment in der Zeitorganisation von Staat und Gesellschaft und schaffen einen verbindlichen Ordnungsrahmen für den gemeinsamen, übergreifenden  Zeitrhythmus in allen Lebensbereichen.

Menschen sind mehr als Wirtschaftsfaktoren
Durch den Begriff „seelische Erhebung“ sieht die Verfassung ein grundsätzliches Arbeitsverbot an diesen Tagen vor. Der Begriff mag antiquiert klingen. Aber er weist u.a. darauf hin, dass unserer Gesellschaft ein Menschenbild zugrunde liegt, das dem Leben mehr Facetten zugesteht als nur ökonomische bzw. materielle.

Was zur „seelischen Erhebung“ zählt, kann höchst unterschiedlich sein. Christlich geprägte Menschen meinen damit die Gelegenheit zu Gebet oder den Freiraum für die Teilnahme an Gottesdiensten. Für religiös Unmusikalische kann „seelische Erhebung“ vielleicht Sport, Spiel und Spannung sein, oder einfach ein Waldspaziergang und die Ruhe außerhalb des Verkehrsgetümmels. Der Vielfalt sind kaum Grenzen gesetzt. Entscheidend ist, dass Frauen und Männer die Chance haben, sich vom Alltag und seinen spezifischen Anforderungen zu erholen.

Der arbeitsfreie Sonntag öffnet Räume für Erholung, Begegnung … 
Über die bloße Unterbrechung des Arbeitsrhythmus hinaus ist an Sonn- und Feiertagen eine Ausgestaltung des öffentlichen Lebens gefordert, die auch positiv zu „seelischer Erhebung“ befähigt. D.h. der Sonntag muss sich vom Alltag unterscheiden, um seine entlastende und befreiende Wirkung für den Einzelnen entfalten zu können. An diesem Tag stehen die immateriellen Dinge im Zentrum, die zu einem guten Leben unbedingt dazugehören und für Geld nicht zu kaufen sind. Das natürliche Bedürfnis des Menschen nach Erholung, Muße, Freizeit und zweckfreier und zwangloser Geselligkeit braucht gemeinsame Ruhezeiten

Beim Sonntagsschutz geht es darum, diesen kulturellen Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe zu erhalten und den Menschen auch dadurch eindeutig in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens zu stellen. Der Sonntag als Freiraum und die u.a. daraus folgende Begrenzung der Ladenöffnungszeiten schützt die Menschen vor dem totalen Zugriff ökonomischer Partikularinteressen, die die Gewerbefreiheit über Grundrechte unserer Verfassung stellen wollen. Wer seine Produkte an sechs von sieben Tagen nicht unter die Leute bekommt, der wird sie auch an einem weiteren Tag nicht in nennenswerter Menge absetzen können. Und wer sein Geld an sechs von sieben Tagen nicht hat ausgeben können, der wird keinen siebten Tag für zusätzlichen Konsum wirklich benötigen.

Es stünde Kommunalpolitikerinnen und -politikern gut an, sich für die Einhaltung dieser Spielregeln einzusetzen statt sich mit großzügig gewährten, aber wettbewerbsverzerrenden Ausnahmen von den Öffnungszeiten bei Lobbyistinnen und Lobbyisten beliebt zu machen, die keineswegs immer das Wohl der Allgemeinheit im Blick haben. Der Kommerz auf eng begrenzten Flächen und zu klar definierten Zeiten kann dann immer noch stattfinden, auch an dem einen oder anderen Sonntag, aber unschädlich für die Mehrheit.

… für Engagement und demokratische Teilhabe
Darüber hinaus ist der Sonntag ein Stück Demokratie für alle. Nicht zuletzt darum setzt finden Wahlen an dem Tag in der Woche statt, an dem Bürgerinnen und Bürger ihrer politischen Mitwirkung nachgehen können, ohne dafür Urlaub oder Einkommen opfern zu müssen.

Forderungen der Allianz für den Arbeitsfreien Sonntag
Der Streit um das, was an Sonntagen geht und was nicht gehen kann, muss sein, um eine schleichende Aushöhlung der Rechtskultur zu stoppen. Die Sonn- und Feiertage setzen Zeichen gegen die Auflösung von gewachsenen Gemeinschaften, die Zersplitterung der Familie, die alleinige Ausrichtung auf Produktion und Kapital. Der verfassungsrechtliche Schutz des Sonntags drückt eine Priorität aus, die sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu bewähren hat. Angesichts des wachsenden Wirtschaftsdrucks ist der Sonntag als ein Tag der Ruhe und des bewussten Andersseins für die Menschen nötiger denn je. Wird der Sonntag zunehmend von der werktäglichen Geschäftigkeit erobert, so ist er für den Menschen als rhythmisch wiederkehrender Zeitanker des gesellschaftlichen Lebens verloren.

Die Allianz für den Arbeitsfreien Sonntag, die Kirchen und die Gewerkschaft ver.di  gemeinsam (!) in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in fast allen anderen Bundesländern gegründet haben, engagiert sich schon länger mit dieser Begründung für den Sonntagsschutz. Mehr dazu auf der Website Allianz für den freien Sonntag / Deutschland und den Websites der Allianzen in den Bundesländern

Aus ihrer Sicht sind folgende Anliegen an die Politik vorrangig, wie sie die von den Kirchen und von Verdi getragenen Allianz für den arbeitsfreien Sonntag in Rheinland-Pfalz formuliert:

  • Die gesetzlichen Regelungen in den Landesgesetzen über den Schutz der Sonn- und Feiertage und zur Regelung der Ladenöffnungszeiten müssen im Grundsatz erhalten bleiben.
  • Es dürfen keine weiteren gesetzlichen Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsschutz sowie der Ladenöffnungszeiten zugelassen werden.
  • Die bestehenden Vorschriften zum Sonn- und Feiertagsschutz sowie zu den Ladenöffnungszeiten müssen in der Praxis effektiv kontrolliert werden können, um etwaige Verstöße durch die zuständigen Behörden konsequent zu ahnden. Ausnahmeregelungen müssen restriktiv gehandhabt werden.
  • Die Gesetzgeber auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene müssen sicherstellen, dass der Sonntag im sozialen Zusammenleben seiner Zweckbestimmung entsprechend als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung erhalten bleibt.
  • Der freie Sonntag als traditioneller europäischer „fester Zeitanker“ muss als unverzichtbares Kulturgut auch in einer neuen EU-Arbeitszeitrichtlinie verankert werden.